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Nico Charlie
Was zuletzt geschah

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27.02.2016 - Socken machen Semmis schläfrig.

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Grenz­über­schreitung die Zweite

"Das müssen die Hunde unter sich aus­machen." Bei diesem Satz stellen sich mir alle Haare auf. Nicht etwa, weil der Satz per se nicht richtig wäre, sondern weil er meist von Groß­hund­besitzern gesagt wird, die keine Lust haben, sich um ihre Hunde zu kümmern oder sie generell nicht unter Kontrolle haben. Ich möchte hier aber keine Zeile damit verschwenden, über derartige Leute zu schimpfen, sondern erklären, was hier aus Hunde­sicht geschieht. Das Unter-sich-Ausmachen ist übrigens so lange kein Problem wie alle Beteiligten sozial souverän sind und keiner eine körper­liche Über­legen­heit ausnutzt. Sobald ein Beteiligter bei einer Wald-und-Wiesen-Hunde­be­gegnung jedoch eine körper­liche Über­legen­heit ausnutzt, kann von sozialer Souveränität keine Rede mehr sein.

Schauen wir uns zunächst die Hunde an, deren Grenze über­schritten wird. Was heißt das über­haupt? Nun, diese Hunde zeigen ganz deut­lich, dass sie sich in der Situation unwohl fühlen, lieber Abstand halten möchten, sie suchen bei Herr­chen oder Frau­chen Schutz und Hilfe oder hätten gerne ein lang­sameres Tempo bei der Begegnung. Sie züngeln, wenden den Blick ab, werden steif, versuchen zu Herr­chen oder Frau­chen zu kommen, stellen die Rücken­haare auf. Notfalls knurren sie, schnappen, laufen weg. Manche ziehen den Schwanz ein, legen sich vor Angst auf den Boden oder winseln. Das sind jedoch die wenigsten, die sich derartig passiv verhalten und sich hinlegen, oft sind es Welpen. Diese Hunde brauchen in solch einer Situation dringend Unter­stützung. Sie müssen erfahren, dass auf ihr Rudel, sprich Herr­chen, Frau­chen und ggf. weitere Hunde Verlass ist, dass sie dort Sicher­heit erfahren und sich die anderen darum kümmern, dass die unan­genehme Situation endet. Tun sie das nicht, nehmen diese Hunde irgend­wann die Sache selbst in die Hand und gehen zum Angriff, zur Flucht, in seltenen Fällen zum "Hampel­mann" (Spielen) oder zur völligen Erstarrung über. In ihren Augen schreien diese Hunde ihre Angst, ihr Unbe­hagen in die Welt hinaus, doch es bleibt unge­hört. So als ob ich Sie am Arm anfasse, Sie sagen mir, dass Sie das nicht möchten, worauf­hin ich Sie ohr­feige. Und zu allem Über­fluss meint Ihr daneben­stehender Partner auch noch, Sie sollen sich selber um Ihre Ange­legen­heiten kümmern. Eine soziale Kata­strophe für den Betroffenen. Leider wird in viel zu vielen Hunde­schulen immer noch die Mähr vom "da müssen die durch", "sie müssen lernen, sich zu wehren" oder "das machen die unter sich aus" erzählt. Machen die Hunde mehr­mals oder häufig eine solche Erfahrung mit völliger Hilf­losig­keit, großer Angst und ohne Unter­stützung, ist das verheerend für ihr Sozial­ver­halten. Und spätestens wenn sie größer sind als der andere oder ein anderer Hund, verhalten sie sich genauso distanz- und respekt­los anderen gegenüber wie sie es an sich selbst erfahren haben. Und schon sind wir bei den Grenz­über­schreitern.

Davon gibt es zweier­lei: einmal die, die schon als Welpen andere über­rumpeln konnten und denen niemals Ein­halt geboten wurde. Diese haben nie gelernt, die Zeichen anderer zu deuten und adäquat darauf zu reagieren. Mit anderen Worten: sie sind schlecht sozialisiert. Die anderen sind die, deren Grenze häufig über­schritten wurde, ohne Unter­stützung zu erhalten. Wenn diese dann körperlich in der Lage sind, das erlernte Verhalten auf andere anzu­wenden, wird munter Abwehr­verhalten anderer miss­achtet oder sogar getreu dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigung" gehandelt. Auch das ist schlechte Sozialisation. Bevor man selbst in die unan­genehme Situation mit Unbe­hagen und Angst kommt, sorgt man dafür, dass es dem Anderen noch schlechter geht. Um im Beispiel von vorhin zu bleiben: bevor Sie also das nächste Mal trotz Abwehr von mir geohr­feigt werden, rennen Sie eher zu mir und ohr­feigen mich, motzen mich an oder versuchen sonst wie, mich von Ihrem Leib zu halten. Verständ­lich, oder?

Ist Ihnen noch was aufge­fallen? Welpen­spiel­stunden können Brut­stätten für derlei schlecht sozialisierte Hunde sein. Paradox oder? Wenn eine Runde Welpen (eher) unkontrolliert mit­einander spielen, KÖNNEN sie kein sozial­ver­trägliches Verhalten erlernen. Sie brauchen eine Instanz, die ihnen ver­mittelt, was akzep­tabel ist und was nicht. Das kann ein sozial absolut souveräner Alt­hund sein, z. B. die Mutter­hündin, aller­dings funktioniert das in so künst­lich zusammen­ge­würfelten, nicht sozialen Verbänden wie einer Welpen­stunde eher selten. Instanz muss also der Trainer sein, der dabei den Besitzern das richtige Verhalten vermittelt. Und noch etwas sollte klar sein: große Hunde sind häufiger die Grenz­über­schreiter, kleinere häufiger die, deren Grenzen über­schritten werden. Einfach, weil große Hunde es können.

Und Semmi? Seine Grenzen werden leider häufig über­schritten, auch weil man ihm seine Unsicher­heit ansieht (auf Schwache haut es sich leichter). Er hat viele schlechte Erfahrungen gemacht und immerhin sind wir mittler­weile von der Strategie "Angriff ist die beste Verteidigung" weg. So macht er einer 45 kg Berner Sennen Mischlingshündin schöne Augen, den Übermut einer doppelt so großen und doppelt so schweren Nala dämmt er mittler­weile gekonnt ein und das jugend­liche Gepöbel eines gleich­großen, etwa 1,5-mal so schweren Seppis ignoriert er weg oder sagt ggf. ange­messen bescheid. Daher weiß ich, dass Semmi auch ganz normal mit Hunden umgehen und kommunizieren kann. Egal ob Hündin oder Rüde, kastriert oder unkastiert.

Seit Fritzi weiß ich was die Klein­hund­be­sitzer meinten, wenn ich mit Charlie und/oder Nico, unseren 60+ cm Hunden, unterwegs war und die Besitzer zunächst ängst­lich reagierten und dann ganz entspannt und glück­lich bemerkten wie vor­sichtig die beiden wären. Ich verstand das damals nicht, war doch dieses Ver­halten normal. Nico Po Nico senkte sogar manchmal seinen Po ab, damit die kleinen daran riechen konnten. Jetzt weiß ich, dass das was normal sein sollte, es leider nicht ist. Fritzi strahlte zwar viel mehr Souveränität aus als Semmi, aber trotzdem wurde das sehr häufig ignoriert. Umso überraschter war er, wenn sein Des­interesse an Kontakt akzeptiert wurde. So begegneten wir auf einem Spazier­gang an der Isar, Charlie vorne weg, einem Königs­pudel. Wir liefen gegen die Sonne, d.h. Fritzi lief beinahe blind, aber mit seinem üblichen Lass-mich-in-Ruhe-Ausdruck. Da wir auf einem schmalen Trampel­pfad liefen, passierte der Pudel uns recht nah und Fritzi bemerkte ihn erst, als er wenige Zenti­meter vor ihm war. Fritzi holte Luft zum Bellen in der Erwartung, der andere würde gleich Kontakt aufnehmen, doch der Pudel würdigte ihn keines Blickes und lief vorbei. Fritzi schnaufte hörbar aus ohne zu bellen und sah ihm verwirrt hinterher.

Solche Begegnungen brauchen die Hunde. Jeder respektiert den anderen und auch der schwächere, und sei er noch so klein, wird in seinem Wunsch zu Abstand akzeptiert. Ich wünsche mir mehr dieser Pudel, dieser Nicos, Charlies, Emmas, dieser Berner Sennen Mischlinge und Irinis in diese Welt. Für Semmi. Für Fritzi. Für die vielen verängstigten kleinen Hunde. Und für deren Besitzer. Die könnten dann wieder etwas entspannter spazieren­gehen.

P.S.: Das obige Bild stammt aus einer Spiel­sequenz. Wer mir nicht glaubt, möge sich dieses kurze Video ansehen. Es wurde in derselben Spiel­sequenz aufge­nommen.

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