Von "bösen" Kötern und Grenzüberschreitung
Gestern fragte mich eine Welpenbesitzerin, wie sie denn ihren Welpen vor ständigem Anfassen von völlig Fremden schützen könnte. Sie erzählte davon, wie alle ihren Hund, einen braunen Ladrador, süß fänden, selbst wenn er die Fremden ansprang und ihnen gar ins Gesicht schleckte, wie dauernd jemand versuchte, durch Schnalzen oder "Küsschen geben" ihren Hund auf sich aufmerksam zu machen, wie jemand ihren schlafenden (!) Hund einfach anfasste und Kinder von ihren Eltern einfach zum Streicheln ihres Hundes losgeschickt werden. Nun könnte ich gleich einen ganzen Roman über die von den Fremden begangenen Fehler schreiben, aber ich versuche mich kurzzufassen.
Ein paar Fragen machen die Fehler vielleicht deutlich:
- Fassen Sie in fremde Kinderwägen?
- Kneifen Sie einem fremden Kind in die Wange und sagen ihm wie süß Sie es finden und erwarten, dass ihm Ihr Verhalten gefällt?
- Rennen Sie auf Fremde zu, klopfen ihnen auf die Schulter und streicheln sie am Arm? Womöglich noch von hinten?
- Lassen Sie ihr Kind zu Fremden laufen, um sie zu umarmen?
Nein? Dann reißen Sie sich auch bei Hunden zusammen! Fragen Sie den Besitzer, ob anfassen ok ist und unterlassen Sie jegliche Kommentare, wenn es das nicht ist. Einfach hinzugehen und loszustreicheln, ist eine schwerwiegende Grenzüberschreitung des persönlichen Raums, den nur wenige Hunde oder Menschen toll finden.
Liebe (Neu-)Hundebesitzer: legt Euch ein dickes Fell zu und schützt Eure Hunde - der eine braucht es mehr, der andere weniger.
Jetzt kommt der Teil, der mir nicht in den Kopf will: In den Medien, auf der Straße, beim Spazierengehen etc. hört man soviel negatives über "unerzogene Köter", die "alles vollsch..." und auch noch "jeden anspringen". Gleichzeitig höre ich von jedem Welpenbesitzer und fast jedem Besitzer eines ausgewachsenen, nicht überwiegend-schwarzen Hundes davon, wie häufig sie ihren Hund vor Grenzüberschreitungen Fremder schützen müssen und wie sie meist verzweifelt versuchen, ihrem Hund beizubringen, nicht zu jedem hinzulaufen und ihn zu begrüßen. Merken Sie was? Wie sollen die Hunde das lernen, wenn sie ständig und überall zum Herkommen animiert werden? Wie sollen die Besitzer hart bleiben und viele Kontakte verweigern, wenn Sie sich dann dumme Sprüche anhören müssen? Nicht nur einmal am Tag, nicht nur einmal pro Spaziergang, nicht nur an manchen Tagen. Besonders beliebt als Antwort auf nicht erlaubte Hundekontakte ist übrigens der Spruch "Beißt er/Ist er bissig?". Was für ein Umkehrschluss! Wenn ich (gerade) nicht von Fremden geherzt werden will oder soll, macht mich das zum Schläger?
Beispiel gefällig? Ich sitze mit Semmi auf der Terrasse eines Restaurants, Semmi direkt neben meinem Stuhl am einen Tischende, am Nebentisch des anderen Endes ein etwa 2,5-jähriges Kind. Die Eltern lassen es, ohne weiter darauf achtzugeben, über die gesamte Terrasse laufen. Da ich einen Hund dabei habe, habe ich konstant die nähere Umgebung im Blick. Das Kind läuft mehrmals an Semmi vorbei, ohne ihn zu bemerken, Semmi interessiert sich nicht die Bohne für das Kind. Dann plötzlich bemerkt es Semmi und will ihn anfassen. Ich halte das Kind zurück und sage ihm, es müsse immer erst die Mama fragen, ob es einen Hund anfassen darf. Mittlerweile ist die Mutter beim Kind, hebt es weg und sagt ihm, der Hund wäre böse und danach laut "da muss man jetzt schon auf Hunde aufpassen, das Allerletzte".
Noch eins? Ich bin mit Semmi auf dem Wochenmarkt. Er steht direkt zwischen mir und einem Stand, so habe ich ihn bestens im Blick. Ein 4-jähriges Mädchen steht mit seinen Eltern am gleichen Stand ein paar Meter entfernt. Plötzlich will es etwas unter dem Stand hervorholen und kriecht dabei direkt zu Semmi. Der ist interessiert und streckt die Nase in Richtung des Mädchens. Ich erschrecke mich darüber, dass das Mädchen urplötzlich direkt bei Semmi ist und ziehe ihn schnell weg von dem Mädchen, woraufhin Semmi überrascht vom Ruck einen halbherzigen Beller loslässt. Jetzt reagieren auch die Eltern, nehmen das Mädchen auf den Arm und sagen ihm, es dürfe erst wieder runter, wenn der Hund weg ist. Der wäre nämlich gefährlich. Alles in einem Tonfall und mit einem Seitenblick, der eigentlich für den bösen Hundebesitzer und nicht das Mädchen gedacht ist.
Und dann war da noch das eine Mal, als Semmi keine 5 Minuten vorm Geschäft angebunden ist, als ich sehe, wie ein Fremder ihn streichelt. Und die unzähligen Male, bei denen ich Erwachsene davon abhalten muss, ohne zu fragen meinen Hund anzufassen. Und die vielen Male, in denen sie es trotzdem tun. Um mir dann zu bescheinigen, wie komisch/bissig/blöd/unverschämt mein Hund doch ist. "Was kuckt der mich denn dann an?" 3,5 Jahre mit Fritzi haben mich einiges in Sachen Fremde-fassen-einfach-Hund-an gelehrt. Und dann ist da noch die Kundin, die wegen nachweißlich Nichts (!) Auflagen der Gemeinde bekam, u.a. solle sie sich von fremden Kindern fernhalten (der 16 Wochen alte Welpe lief in Richtung eines Kindes)...
Was lernen wir daraus? Hunde sollen niemals da sein, außer wenn es gerade passt. Sie dürfen keine Gefühlsregung zeigen, außer wenn es gerade passt. Sie sollen niemals Hochspringen, außer wenn es gerade passt. Sie sollen niemals Bussi geben, außer wenn es gerade passt. Wenn ein Kind auf sie zuläuft, sollen sie sich in Luft auflösen, außer wenn es gerade passt.
Nein, ich verstehe es einfach nicht. Hunde sind keine lebenden Stofftiere, die man nach Belieben behandeln oder verachten kann. Die Gesellschaft ist hier in der Verantwortung, denn Hunde sind nicht einfach nur ein Hobby Einzelner, sondern haben eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Seit Jahrtausenden. Auch die scheinbar arbeitslosen Hunde. Und ja, manche Besitzer erziehen ihre Hunde nicht. Ja, manche Besitzer räumen den Dreck ihrer Hunde nicht weg. Ja, manchen Besitzern ist es egal, wenn er Fremde anspringt. Diese Besitzer sind nicht die Regel, sind aber diejenigen die auffallen. Und etwas Freundlichkeit und gegenseitiger Respekt steht uns allen ganz gut. Hundebesitzern und nicht minder allen anderen, die gerne Hunde streicheln und denen, die Hunde lieber mit gebührendem Abstand betrachten! Wir alle tragen Verantwortung für den respektvollen Umgang miteinander. Und ja, ich hatte auch schon einige wenige Erlebnisse mit Eltern und Kindern, die richtig gut waren.